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Der Dienst der Kirche am Kurort (Richtlinien)

Vom 24. Juli 1979

(GVBl. S. 93)

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Die im Ausschuß der Kurseelsorge zusammenarbeitenden Kirchen in Baden-Württemberg (Evangelische Landeskirche in Württemberg, Evangelische Landeskirche in Baden, Erzidözese Freiburg, Diözese Rottenburg-Stuttgart, Evangelisch-methodistische Kirche – Süddeutsche Konferenz – Freudenstadt) haben die nachfolgenden gemeinsamen Richtlinien für Kurseelsorge in ihrem Bereich vereinbart.
1.
Die besondere Situation des Kurgastes
1.1
Millionen Menschen suchen jährlich als Kurgäste Heilung in einem deutschen Kurort oder Heilbad. Sie sind während dieser Zeit nicht nur herausgelöst aus Beruf und Familie, sondern geraten oft durch ihren gesundheitlichen Zustand in eine Krise, die sie nötigt, über ihre Lebensweise, aber auch ihre Lebensziele neu nachzudenken. Mit der Hoffnung auf Genesung verbindet sich nicht selten der Wunsch nach einer Lösung unbewältigter Schwierigkeiten, nach einer neuen Lebensführung und ein Suchen nach dem Lebenssinn. Insofern bedeutet die Zeit einer Kur für viele auch eine besondere Chance.
Diese Ausrichtung auf eine neue Lebensführung wird unterstützt durch Erkenntnisse der Kurmedizin, die im Gesundwerden einen umfassenden körperlich-seelisch-geistigen Prozeß sieht und die Kurpatienten motivieren will zu einer Änderung seiner Lebensweise.
1.2
Von Kurpatienten, Ärzten und Kurverwaltungen werden am Kurort Erwartungen an die Kirche herangetragen, die unmittelbar auf ihren seelsorgerlichen Auftrag zielen. Dabei muß bedacht werden, daß aus biblischer Sicht Heilung und Heil in engem Zusammenhang stehen, daß Heilung alle Bezüge unseres Menschseins umfaßt und insbesondere auch das Verhältnis zu Gott und den Nächsten einschließt.
So bedeutet die Situation an Kurorten für Ortsgemeinde und Kirche eine besondere Herausforderung und Möglichkeit des Dienstes.
2.
Christliche Gemeinde am Kurort
2.1
Verantwortlich für den kirchlichen Dienst am Kurort ist die Ortsgemeinde mit ihren hauptamtlichen Mitarbeitern, aber auch mit allen ihren Gliedern. Dies muß der Ortsgemeinde immer wieder bewußt gemacht werden. So wie sie selbst von der Liebe Gottes lebt, kann sie in Einzelbegegnung, aber auch durch ihre Gemeinschaftsformen leidende und unter Isolierung lebende Menschen die Zuwendung Gottes erfahren lassen. Liebe hat therapeutische Kraft.
2.2
Das erfordert Zurüstung der Gemeindeglieder zur Mitarbeit am heilenden Handeln, aber auch Offenheit in den Formeln der Gemeindearbeit, die immer wieder unter dem Gesichtspunkt des Dienstes an den Gästen überprüft werden muß. Dies gilt insbesondere für den Gottesdienst, für Predigtnachgespräch, Gemeindeabende, kirchenmusikalische Veranstaltungen, Gemeindebibliothek, Information und Werbung; der Kurpatient soll in dieser Zeit Gemeinde erleben und erfahren.
2.3
Die Verantwortung der Gemeinde für den kirchlichen Dienst an Kurorten wird u.a. dadurch bewußt gemacht, daß Aufgaben und Veranstaltungen der Kurseelsorge vom Kirchen- bzw. Pfarrgemeinderat geplant und mitverantwortet werden und daß die Kurseelsorge in die Visitation einbezogen wird. Ein Arbeitskreis für Kurseelsorge, dem auch Mitglieder des Kirchen- bzw. Pfarrgemeinderates angehören, sollte eingesetzt werden.
2.4
Eine enge ökumenische Zusammenarbeit aller am Ort befindlichen Gemeinden ist die Voraussetzung für einen glaubwürdigen kirchlichen Dienst am Kurgast. Dabei muß überlegt werden, was gemeinsam getan werden kann (Einladungen, Veranstaltungen, Abstimmung des Programms, Werbung und Öffentlichkeitsarbeit usw.). Es empfiehlt sich die Bildung eines ökumenischen Beirates für Kurseelsorge, dem außer den Pfarrern auch Gemeindeglieder, Vertreter der Kurverwaltung und Ärzte angehören sollen.
3.
Die Aufgaben der Kurseelsorge
3.1
Zu den Aufgaben der Kurseelsorge gehören insbesondere:
Einzel- und Gruppenseelsorge,
Gespräche über Glaubens- und Lebensfragen, geeignete Veranstaltungen der Erwachsenenbildung (Anleitung zur Meditation, Aktivierung der kreativen Fähigkeit, Musik und Singen),
theologische Information,
Öffentlichkeitsarbeit u.a.m.
3.2
Eine wichtige Aufgabe ist das regelmäßige Gespräch mit Ärzten, mit medizinischtherapeutischem Personal, mit Kurverwaltung und Fremdenbeherbergungsgewerbe.
3.3
Mit den Veranstaltungen und Gemeinschaftsformen einer Ortsgemeinde werden die vielfältigen und speziellen Aufgaben der Kirche am Kurort nicht abgedeckt. Es bedarf ergänzender und auch kurortspezifischer Angebote; die für Ortsgemeinde und ihre Mitarbeiter, insbesondere den Pfarrer, eine zusätzliche Aufgabe und Belastung darstellen.
3.4
Die Arbeit im Bereich geschlossener Kuren (Kurkliniken und Sanatorien) hat zunehmende Bedeutung gewonnen. Es handelt sich dabei um eine Aufgabe besonderer Art, die nur innerhalb der Einrichtungen und in enger Zusammenarbeit mit Ärzten und therapeutischem Personal bewältigt werden kann.
4.
Der Gemeindepfarrer am Kurort
4.1
Kurseelsorge gehört zum Dienstauftrag des Pfarrers der Ortsgemeinde am Kurort. Dies muß im Blick auf seine Befähigung, Arbeitsbelastung, Zeiteinteilung und Weiterbildung berücksichtigt werden.
4.2
Für die Aufgaben in Gemeinden mit größeren Kurgastzahlen muß ein Pfarrer durch entsprechende Mitarbeiter (Schreibkraft, Gemeindediakon usw.) entlastet werden. Oder es wird in der Ortsgemeinde eine weitere Gemeindepfarrstelle errichtet, der die Kurseelsorge als besonderer Schwerpunkt zugeordnet wird.
Bei der Dienstverteilung ist auf die Integration der Kurseelsorge in die Gemeindearbeit zu achten. Auch der Pfarrer mit dem Schwerpunkt Kurseelsorge bleibt Gemeindepfarrer mit bestimmten Diensten (z.B. Seelsorgebereich, Gottesdienste usw.) und mit Sitz und Stimme im Kirchen- bzw. Pfarrgemeinderat.
4.3
Bei der Stellenbesetzung sollen neben fachlicher Eignung insbesondere auch Erfahrungen, wenn möglich auch eine besondere Ausbildung, in der Seelsorge und Befähigung zur Zusammenarbeit vorausgesetzt werden können. Von den in der Kurseelsorge tätigen hauptamtlichen Mitarbeitern der Kirche wird erwartet, daß sie den Erfahrungsaustausch und ihre Weiterbildung als selbstverständliche Pflicht ansehen.
5.
Räume und Finanzen
5.1
Für den kirchlichen Dienst in Kurorten werden sowohl Räume in kirchlichen Gebäuden wie in Kurzentren benutzt. Wichtig dabei ist, daß diese Räume gut erreichbar sind, daß die psychologische Schwelle zum Besuch niedrig bleibt und der Besucher sich darin wohlfühlt. Entsprechende technische Vorrichtungen (Projektor, Filmvorführer, Lichtschreiber, Magnetband usw.) sollten vorhanden sein.
5.2
Die Kirchen sorgen im Rahmen ihrer Möglichkeiten dafür, daß im Haushalt der Ortsgemeinde am Kurort angemessene finanzielle Mittel für die Kurseelsorge vorgesehen sind.
6.
Zusammenarbeit mit der Kurverwaltung
6.1
Der kirchliche Dienst am Kurort geht über die Grenzen der Gemeinde hinaus und erreicht Menschen, die oft seit Jahren nicht mehr Kontakt mit der Kirche hatten. Kurseelsorge muß sich also hineinbegeben in den Kurbetrieb und in ein Arbeitsfeld, das außerhalb der Reichweite einer Ortsgemeinde liegt.
6.2
Bei diesem Dienst ist die Kirche auf Zustimmung und enge Zusammenarbeit mit der Kurverwaltung, mit Ärzten, mit therapeutischem Personal, Hotellerie usw. angewiesen. Dies setzt eine sorgfältige Information aller Beteiligten, regelmäßige Kontakte, Absprachen und rechtzeitige Planungen voraus.
7.
Ausschuß für Kurseelsorge
7.1
Die christlichen Kirchen in Baden-Württemberg arbeiten im Ausschuß für Kurseelsorge eng zusammen und stimmen sich über ihre Ziele und Aufgaben darin gemeinsam ab.
7.2
Der Ausschuß für Kurseelsorge führt in regelmäßigen Abständen Veranstaltungen für Pfarrer, Ärzte, therapeutisches Personal usw. auf Landesebene und auf regionaler Ebene durch.
7.3
Die gemeinsamen Maßnahmen werden von den beteiligten Kirchen anteilig finanziert.
Ordinariat der Erzdiözese Freiburg
Ordinariat der Diözese Rottenburg/Stuttgart
Evangelischer Oberkirchenrat Karlsruhe
Evangelischer Oberkirchenrat Stuttgart
Evangelisch-methodistische Kirche (Süddeutsche Konferenz) Freudenstadt