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Konkordie Reformatorischer Kirchen in Europa
(Leuenberger Konkordie)

Vom 16. März 1973

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Die dieser Konkordie zustimmenden lutherischen, reformierten und aus ihnen hervorgegangenen unierten Kirchen sowie die ihnen verwandten vorreformatorischen Kirchen der Waldenser und Böhmischen Brüder stellen aufgrund ihrer Lehrgespräche unter sich das gemeinsame Verständnis des Evangeliums fest, wie es nachstehend ausgeführt wird. Dieses ermöglicht ihnen, Kirchengemeinschaft zu erklären und zu verwirklichen. Dankbar dafür, daß sie näher zueinander geführt worden sind, bekennen sie zugleich, daß das Ringen um Wahrheit und Einheit in der Kirche auch mit Schuld und Leiden verbunden war und ist.
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Die Kirche ist allein auf Jesus Christus gegründet, der sie durch die Zuwendung seines Heils in der Verkündigung und in den Sakramenten sammelt und sendet. Nach reformatorischer Einsicht ist darum zur wahren Einheit der Kirche die Übereinstimmung in der rechten Lehre des Evangeliums und in der rechten Verwaltung der Sakramente notwendig und ausreichend. Von diesen reformatorischen Kriterien leiten die beteiligten Kirchen ihr Verständnis von Kirchengemeinschaft her, das im folgenden dargelegt wird.
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I. Der Weg zur Gemeinschaft

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Angesichts wesentlicher Unterschiede in der Art des theologischen Denkens und des kirchlichen Handelns sahen sich die reformatorischen Väter um ihres Glaubens und Gewissens willen trotz vieler Gemeinsamkeiten nicht in der Lage, Trennungen zu vermeiden. Mit dieser Konkordie erkennen die beteiligten Kirchen an, daß sich ihr Verhältnis zueinander seit der Reformationszeit gewandelt hat.
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1. Gemeinsame Aspekte im Aufbruch der Reformation

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Aus dem geschichtlichen Abstand heraus läßt sich heute deutlicher erkennen, was trotz aller Gegensätze den Kirchen der Reformation in ihrem Zeugnis gemeinsam war. Sie gingen aus von einer neuen, befreienden und gewißmachenden Erfahrung des Evangeliums. Durch das Eintreten für die erkannte Wahrheit sind die Reformatoren gemeinsam in Gegensatz zu kirchlichen Überlieferungen jener Zeit geraten. Übereinstimmend haben sie deshalb bekannt, daß Leben und Lehre an der ursprünglichen und reinen Bezeugung des Evangeliums in der Schrift zu messen sind. Übereinstimmend haben sie die freie und bedingungslose Gnade Gottes im Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi für jeden, der dieser Verheißung glaubt, bezeugt. Übereinstimmend haben sie bekannt, daß Handeln und Gestalt der Kirche allein von dem Auftrag her zu bestimmen sind, dieses Zeugnis in der Welt auszurichten, und daß das Wort des Herrn jeder menschlichen Gestaltung der christlichen Gemeinde überlegen bleibt. Dabei haben sie gemeinsam mit der ganzen Christenheit das in den altkirchlichen Symbolen ausgesprochene Bekenntnis zum Dreieinigen Gott und zur Gott-Menschheit Jesu Christi aufgenommen und neu bekannt.
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2. Veränderte Voraussetzungen heutiger kirchlicher Situation

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In einer vierhundertjährigen Geschichte haben die theologische Auseinandersetzung mit den Fragen der Neuzeit, die Entwicklung der Schriftforschung, die kirchlichen Erneuerungsbewegungen und der wiederentdeckte ökumenische Horizont die Kirchen der Reformation zu neuen, einander ähnlichen Formen des Denkens und Lebens geführt. Sie brachten freilich auch neue, quer durch die Konfessionen verlaufende Gegensätze mit sich. Daneben wurde immer wieder, besonders in Zeiten gemeinsamen Leidens, brüderliche Gemeinschaft erfahren. All dies veranlaßte die Kirchen in neuer Weise, das biblische Zeugnis wie die reformatorischen Bekenntnisse, vor allem seit den Erweckungsbewegungen, für die Gegenwart zu aktualisieren. Auf diesen Wegen haben sie gelernt, das grundlegende Zeugnis der reformatorischen Bekenntnisse von ihren geschichtlich bedingten Denkformen zu unterscheiden. Weil die Bekenntnisse das Evangelium als das lebendige Wort Gottes in Jesus Christus bezeugen, schließen sie den Weg zu dessen verbindlicher Weiterbezeugung nicht ab, sondern eröffnen ihn und fordern ihn auf, ihn in der Freiheit des Glaubens zu geben.
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II. Das gemeinsame Verständnis des Evangeliums

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Im folgenden beschreiben die beteiligten Kirchen ihr gemeinsames Verständnis des Evangeliums, soweit es für die Begründung ihrer Kirchengemeinschaft erforderlich ist.
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1. Die Rechtfertigungsbotschaft als die Botschaft von der freien Gnade Gottes

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Das Evangelium ist die Botschaft von Jesus Christus, dem Heil der Welt, in Erfüllung der an das Volk des Alten Bundes ergangenen Verheißung.
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a)
Sein rechtes Verständnis haben die reformatorischen Väter in der Lehre von der Rechtfertigung zum Ausdruck gebracht.
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b)
In dieser Botschaft wird Jesus Christus bezeugt
als der Menschgewordene, in dem Gott sich mit den Menschen verbunden hat;
als der Gekreuzigte und Auferstandene, der das Gericht Gottes auf sich genommen und darin die Liebe Gottes zum Sünder erwiesen hat und
als der Kommende, der als Richter und Retter die Welt zur Vollendung führt.
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c)
Gott ruft durch sein Wort im Heiligen Geist alle Menschen zu Umkehr und Glauben und spricht dem Sünder, der glaubt, seine Gerechtigkeit in Jesus Christus zu. Wer dem Evangelium vertraut, ist um Christi willen gerechtfertigt vor Gott und von der Anklage des Gesetzes befreit. Er lebt in täglicher Umkehr und Erneuerung zusammen mit der Gemeinde im Lobpreis Gottes und im Dienst am anderen, in der Gewißheit, daß Gott seine Herrschaft vollenden wird. So schafft Gott neues Leben und setzt inmitten der Welt den Anfang einer neuen Menschheit.
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d)
Diese Botschaft macht die Christen frei zu verantwortlichem Dienst in der Welt und bereit, in diesem Dienst auch zu leiden. Sie erkennen, daß Gottes fordernder und gebender Wille die ganze Welt umfaßt. Sie treten ein für irdische Gerechtigkeit und Frieden zwischen den einzelnen Menschen und unter den Völkern. Dies macht es notwendig, daß sie mit anderen Menschen nach vernünftigen, sachgemäßen Kriterien suchen und sich an ihrer Anwendung beteiligen. Sie tun dies im Vertrauen darauf, daß Gott die Welt erhält, und in Verantwortung vor seinem Gericht.
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e)
Mit diesem Verständnis des Evangeliums stellen wir uns auf den Boden der altkirchlichen Symbole und nehmen die gemeinsame Überzeugung der reformatorischen Bekenntnisse auf, daß die ausschließliche Heilsmittlerschaft Jesu Christi die Mitte der Schrift und die Rechtfertigungsbotschaft als die Botschaft von der freien Gnade Gottes Maßstab aller Verkündigung der Kirche ist.
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2. Verkündigung, Taufe und Abendmahl

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Das Evangelium wird uns grundlegend bezeugt durch das Wort der Apostel und Propheten in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments. Die Kirche hat die Aufgabe, dieses Evangelium weiterzugeben durch das mündliche Wort der Predigt, durch den Zuspruch an den einzelnen und durch Taufe und Abendmahl. In Verkündigung, Taufe und Abendmahl ist Jesus Christus durch den Heiligen Geist gegenwärtig. So wird den Menschen die Rechtfertigung in Christus zuteil, und so sammelt der Herr seine Gemeinde. Er wirkt dabei in vielfältigen Ämtern und Diensten und im Zeugnis aller Glieder seiner Gemeinde.
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a)
Taufe
Die Taufe wird im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes mit Wasser vollzogen. In ihr nimmt Jesus Christus den der Sünde und dem Sterben verfallenen Menschen unwiderruflich in seine Heilsgemeinschaft auf, damit er eine neue Kreatur sei. ER beruft ihn in der Kraft des Heiligen Geistes in seine Gemeinde zu einem Leben aus Glauben, der täglichen Umkehr und Nachfolge.
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b)
Abendmahl
Im Abendmahl schenkt sich der auferstandene Jesus Christus in seinem für alle dahingegebenen Leib und Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein. Er gewährt uns dadurch Vergebung der Sünden und befreit uns zu einem neuen Leben aus Glauben. Er läßt uns neu erfahren, daß wir Glieder an seinem Leibe sind. Er stärkt uns zum Dienst an den Menschen.
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Wenn wir das Abendmahl feiern, verkündigen wir den Tod Christi, durch den Gott die Welt mit sich selbst versöhnt hat. Wir bekennen die Gegenwart des auferstandenen Herrn unter uns. In der Freude darüber, daß der Herr zu uns gekommen ist, warten wir auf seine Zukunft in Herrlichkeit.
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III. Die Übereinstimmung angesichts der Lehrverurteilungen der Reformationszeit

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Die Gegensätze, die von der Reformationszeit an eine Kirchengemeinschaft zwischen den lutherischen und reformierten Kirchen unmöglich gemacht und zu gegenseitigen Verwerfungsurteilen geführt haben, betrafen die Abendmahlslehre, die Christologie und die Lehre von der Prädestination. Wir nehmen die Entscheidungen der Väter ernst, können aber heute folgendes gemeinsam dazu sagen:
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1. Abendmahl

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Im Abendmahl schenkt sich der auferstandene Jesus Christus in seinem für alle dahingegebenen Leib und Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein. So gibt er sich selbst vorbehaltlos allen, die Brot und Wein empfangen; der Glaube empfängt das Mahl zum Heil, der Unglaube zum Gericht.
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Die Gemeinschaft mit Jesus Christus in seinem Leib und Blut können wir nicht vom Akt des Essens und Trinkens trennen. Ein Interesse an der Art der Gegenwart Christi im Abendmahl, das von dieser Handlung absieht, läuft Gefahr, den Sinn des Abendmahls zu verdunkeln.
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Wo solche Übereinstimmung zwischen Kirchen besteht, betreffen die Verwerfungen der reformatorischen Bekenntnisse nicht den Stand der Lehre dieser Kirchen.
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2. Christologie

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In dem wahren Menschen Jesus Christus hat sich der ewige Sohn und damit Gott selbst zum Heil in die verlorene Menschheit hineingegeben. Im Verheißungswort und Sakrament macht der Heilige Geist und damit Gott selbst uns Jesus als Gekreuzigten und Auferstandenen gegenwärtig.
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Im Glauben an diese Selbsthingabe Gottes in seinem Sohn sehen wir uns angesichts der geschichtlichen Bedingtheit überkommener Denkformen vor die Aufgabe gestellt, neu zur Geltung zu bringen, was die reformierte Tradition in ihrem besondern Interesse an der Unversehrtheit von Gottheit und Menschheit Jesu und was die lutherische Tradition in ihrem besonderen Interesse an seiner völligen Personeinheit geleitet hat.
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Angesichts dieser Sachlage können wir heute die früheren Verwerfungen nicht nachvollziehen.
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3. Prädestination

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Im Evangelium wird die bedingungslose Annahme des sündigen Menschen durch Gott verheißen. Wer darauf vertraut, darf des Heils gewiß sein und Gottes Erwählung preisen. Über die Erwählung kann deshalb nur im Blick auf die Berufung zum Heil in Christus gesprochen werden.
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Der Glaube macht zwar die Erfahrung, daß die Heilsbotschaft nicht von allen angenommen wird, er achtet jedoch das Geheimnis von Gottes Wirken. Er bezeugt zugleich den Ernst menschlicher Entscheidung wie die Realität des universalen Heilswillen Gottes. Das Christuszeugnis der Schrift verwehrt uns, einen ewigen Ratschluß Gottes zur definitiven Verwerfung gewisser Personen oder eines Volkes anzunehmen.
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Wo solche Übereinstimmungen zwischen Kirchen besteht, betreffen die Verwerfungen der reformatorischen Bekenntnisse nicht den Stand der Lehre dieser Kirchen.
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4. Folgerungen

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Wo diese Feststellungen anerkannt werden, betreffen die Verwerfungen der reformatorischen Bekenntnisse zum Abendmahl, zur Christologie und zur Prädestination den Stand der Lehre nicht. Damit werden die von den Vätern vollzogenen Verwerfungen nicht als unsachgemäß bezeichnet, sie sind jedoch kein Hindernis mehr für die Kirchengemeinschaft.
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Zwischen unseren Kirchen bestehen beträchtliche Unterschiede in der Gestaltung des Gottesdienstes, in den Ausprägungen der Frömmigkeit und in den kirchlichen Ordnungen. Diese Unterschiede werden in den Gemeinden oft stärker empfunden als die überkommenen Lehrgegensätze. Dennoch vermögen wir nach dem Neuen Testament und den reformatorischen Kriterien der Kirchengemeinschaft in diesen Unterschieden keine kirchentrennenden Faktoren zu erblicken.
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IV. Erklärung und Verwirklichung der Kirchengemeinschaft

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Kirchengemeinschaft im Sinne dieser Konkordie bedeutet, daß Kirchen verschiedenen Bekenntnisstandes aufgrund der gewonnenen Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums einander Gemeinschaft an Wort und Sakrament gewähren und eine möglichst große Gemeinsamkeit in Zeugnis und Dienst an der Welt erstreben.
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1. Erklärung der Kirchengemeinschaft

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Mit der Zustimmung zu der Konkordie erklären die Kirchen in der Bindung an die sie verpflichtenden Bekenntnisse oder unter Berücksichtigung ihrer Traditionen:
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a)
Sie stimmen im Verständnis des Evangeliums, wie es in den Teilen II und III Ausdruck gefunden hat, überein.
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b)
Die in den Bekenntnisschriften ausgesprochenen Lehrverurteilungen betreffen entsprechend den Feststellungen des Teils III nicht den gegenwärtigen Stand der Lehre der zustimmenden Kirchen.
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c)
Sie gewähren einander Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft. Das schließt die gegenseitige Anerkennung der Ordination und die Ermöglichung der Interzelebration ein.
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Mit diesen Feststellungen ist Kirchengemeinschaft erklärt. Die dieser Gemeinschaft seit dem 16. Jahrhundert entgegenstehenden Trennungen sind aufgehoben. Die beteiligten Kirchen sind der Überzeugung, daß sie gemeinsam an der einen Kirche Jesu Christi teilhaben und daß der Herr sie zum gemeinsamen Dienst befreit und verpflichtet.
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2. Verwirklichung der Kirchengemeinschaft

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Die Kirchengemeinschaft verwirklicht sich im Leben der Kirchen und Gemeinden. Im Glauben an die einigende Kraft des Heiligen Geistes richten sie ihr Zeugnis und ihren Dienst gemeinsam aus und bemühen sich um die Stärkung und Vertiefung der gewonnenen Gemeinschaft.
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a)
Zeugnis und Dienst
Die Verkündigung der Kirchen gewinnt in der Welt an Glaubwürdigkeit, wenn sie das Evangelium in Einmütigkeit bezeugen. Das Evangelium befreit und verbindet die Kirchen zum gemeinsamen Dienst. Als Dienst der Liebe gilt er den Menschen mit seinen Nöten und sucht deren Ursachen zu beheben. Die Bemühung um Gerechtigkeit und Frieden in der Welt verlangt von den Kirchen zunehmend die Übernahme gemeinsamer Verantwortung.
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b)
Theologische Weiterarbeit
Die Konkordie läßt die verpflichtende Geltung der Bekenntnisse in den beteiligten Kirchen bestehen. Sie versteht sich nicht als ein neues Bekenntnis. Sie stelle eine im Zentralen gewonnen Übereinstimmung dar, die Kirchengemeinschaft zwischen Kirchen verschiedenen Bekenntnisstandes ermöglicht. Die beteiligten Kirchen lassen sich bei der gemeinsamen Ausrichtung von Zeugnis und Dienst von dieser Übereinstimmung leiten und verpflichten sich zu kontinuierlichen Lehrgesprächen untereinander.
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Das gemeinsame Verständnis des Evangelium, auf dem die Kirchengemeinschaft beruht, muß weiter vertieft, am Zeugnis der Heiligen Schrift geprüft und ständig aktualisiert werden.
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Es ist Aufgabe der Kirchen, an Lehrunterschieden, die in und zwischen den beteiligten Kirchen bestehen, ohne als kirchentrennend zu gelten, weiterzuarbeiten. Dazu gehören:
Hermeneutische Fragen im Verständnis von Schrift, Bekenntnis und Kirche;
Verhältnis von Gesetz und Evangelium;
Taufpraxis;
Amt und Ordination;
Zwei-Reiche-Lehre und Lehre von der Königsherrschaft Jesu Christi;
Kirche und Gesellschaft.
Zugleich sind auch Probleme aufzunehmen, die sich im Hinblick auf Zeugnis und Dienst, Ordnung und Praxis neu ergeben.
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Aufgrund ihres gemeinsamen Erbes müssen die reformatorischen Kirchen sich mit den Tendenzen theologischer Polarisierung auseinandersetzen, die sich gegenwärtig abzeichnen. Die damit verbundenen Probleme greifen zum Teil weiter als die Lehrdifferenzen, die einmal den lutherisch-reformierten Gegensatz begründet haben.
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Es wird Aufgabe der gemeinsamen theologischen Arbeit sein, die Wahrheit des Evangeliums gegenüber Entstellungen zu bezeugen und abzugrenzen.
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c)
Organisatorische Folgerungen
Durch die Erklärung der Kirchengemeinschaft werden kirchenrechtliche Regelungen von Einzelfragen zwischen den Kirchen und innerhalb der Kirchen nicht vorweggenommen. Die Kirchen werden jedoch bei diesen Regelungen die Konkordie berücksichtigen.
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Allgemein gilt, daß die Erklärung der Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft und die gegenseitige Anerkennung der Ordination die in den Kirchen geltenden Bestimmungen für die Anstellung im Pfarramt, die Ausübung des pfarramtlichen Dienstes und die Ordnungen des Gemeindelebens nicht beeinträchtigen.
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Die Frage eines organisatorischen Zusammenschlusses einzelner beteiligter Kirchen kann nur in der Situation entschieden werden, in der diese Kirchen leben. Bei der Prüfung dieser Fragen sollten folgende Gesichtspunkte beachtet werden:
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Eine Vereinheitlichung, die die lebendige Vielfalt der Verkündigungsweisen, des gottesdienstlichen Lebens, der kirchlichen Ordnung und der diakonischen wie gesellschaftlichen Tätigkeit beeinträchtigt, würde dem Wesen der mit dieser Erklärung eingegangenen Kirchengemeinschaft widersprechen. Andererseits kann aber in bestimmten Situationen der Dienst der Kirche um des Sachzusammenhangs von Zeugnis und Ordnung willen rechtlicher Zusammenschlüsse nahelegen. Werden organisatorische Konsequenzen aus der Erklärung der Kirchengemeinschaft gezogen, so darf die Entscheidungsfreiheit der Minoritätskirchen nicht beeinträchtigt werden.
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d)
Ökumenische Aspekte
Indem die beteiligten Kirchen unter sich Kirchengemeinschaft erklären und verwirklichen, handeln sie aus der Verpflichtung heraus, der ökumenischen Gemeinschaft aller christlichen Kirchen zu dienen.
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Sie verstehen eine solche Kirchengemeinschaft im europäischen Raum als einen Beitrag auf dieses Ziel hin. Sie erwarten, daß die Überwindung ihrer bisherigen Trennung sich auf die ihnen konfessionell verwandten Kirchen in Europa und in anderen Kontinenten auswirken wird, und sind bereit, mit ihnen zusammen die Möglichkeit von Kirchengemeinschaft zu erwägen.
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Diese Erwartung gilt ebenfalls für das Verhältnis des Lutherischen Weltbundes und des Reformierten Weltbundes zueinander.
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Ebenso hoffen sie, daß die Kirchengemeinschaft der Begegnung und Zusammenarbeit mit Kirchen anderer Konfessionen einen neuen Anstoß geben wird. Sie erklären sich bereit, die Lehrgespräche in diesen weiteren Horizont zu stellen.
Versammlung zur Ausarbeitung einer Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa
Leuenberg, den 16. März 1973
An die an der Ausarbeitung der Konkordie beteiligten Kirchen.
Auf Beschluß und im Auftrag der Vorversammlung zur Ausarbeitung einer Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa erhalten Sie als Anlage den auf der zweiten Tagung in der Zeit vom 12. bis 16. März 1973 von ihr abschließend festgestellten Text für eine Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa mit der Bitte, eine Entscheidung in ihrer Kirche über die Annahme herbeizuführen.
  1. Nachdem, die europäischen Kirchen die Thesenreihen von Schauenburg (1967) weitgehend zustimmend zur Kenntnis genommen hatten, kam es auf Wunsch und unter direkter Beteiligung dieser Kirchen zu den sogenannten Leuenberger Gesprächen (1969 bis 1970). Diese haben sich vorwiegend auf die Frage der Kirchengemeinschaft konzentriert. Die von den Kirchen offiziell delegierten Teilnehmer an den Gesprächen haben die Arbeit an einer Konkordie empfohlen, die Grundlage für die Herstellung der Kirchengemeinschaft sein kann. Die Kirchen haben diesen Vorschlag zur Kenntnis genommen bzw. ihm zugestimmt und Delegierte ernannt, die den Text der Konkordie erarbeiten sollten. Auf einer Tagung vom 19. bis 24. September 1971 in Leuenberg haben die von den Kirchen ernannten Delegierten den Entwurf für eine Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa erarbeitet.
  2. Die zweite Tagung der Vorversammlung im März 1973 war von dem von der Vorversammlung im September 1971 eingesetzten Fortsetzungsausschuß vorbereitet worden. Dieser hatte seinem Auftrag entsprechend in mehreren Sitzungen die Stellungnahmen der Kirchen geprüft und einen Vorschlag für eine überarbeitete Fassung des Textes vorgelegt. Mit Rücksicht auf die Bitten einiger Kirchen konnte der Fortsetzungsbeschluß selbst einen abschließenden Text der Konkordie nicht feststellen. Die Vorversammlung hat auf ihrer zweiten Tagung einen Arbeitsbericht des Fortsetzungsausschusses sowie dessen schriftlich vorgelegte Änderungsvorschläge entgegengenommen. Sie hat darüber hinaus in eigener Verantwortung die in einer Synopse übersichtlich dargestellten Stellungnahmen der Kirchen, sowie einer Reihe von kirchlichen Gruppen und einzelner Persönlichkeiten zur Kenntnis genommen und geprüft. Bisher haben 63 Kirchen ihre Antwort gegeben, weitere 9 Kirchen hatten zwar ihre Stellungnahmen nicht abgeschlossen, konnten aber die Vorversammlung über ihre Vorarbeiten mit ausführlichen Dokumenten unterrichten.
  3. Mit Dankbarkeit und Freude konnte die Vorversammlung feststellen, daß zwischen den in ihr vertetenen Kirchen nahezu Einmütigkeit darüber besteht, das Ziel einer Kirchengemeinschaft zwischen den reformatorischen Kirchen in Europa auf dem Weg einer Konkordie weiterzuverfolgen. Diese Tatsache verdient umso mehr Beachtung, als eine Reihe von Kirchen bei der Erarbeitung ihrer Stellungnahmen nicht nur Voten von Fachtheologen und Fakultäten berücksichtigt haben, sondern in umfassender Weise ihre ordinierten Amtsträger und ihre Gemeinden in den Prozeß der Meinungsbildung einbezogen haben.
  4. Die Vorversammlung hat nach Prüfung der Stellungnahmen die Einmütigkeit in der grundsätzlichen Zustimmung zum Ziel und Weg der Konkordie zur Leitlinie ihrer Weiterarbeit und ihrer Entscheidungen gemacht. Sie kam zu der Überzeugung, daß mit der vorgenommenen Textrevision das Mögliche erreicht und damit ihre Arbeit abgeschlossen ist. Sie meint, daß eine erneute Stellungnahme der Kirchen sachlich nicht weiterführe, so daß sie nunmehr die Rezeption der Konkordie von den beteiligten Kirchen erbittet.
  5. Der revidierte Text der Konkordie hat wichtige Änderungswünsche aufgenommen und eine Reihe von grundsätzlichen Fragen in den Grenzen des Möglichen geklärt.
    Wo immer möglich, hat die Revision die in den einzelnen Stellungnahmen kritisierte Sprache des Entwurfs verbessert. Dabei mußte allerdings berücksichtigt werden, daß die mit der Konkordie zu überwindenden Lehrdifferenzen in der durch die Bekenntnisse bzw. die Traditionen geprägten Sprache ihren Ausdruck finden. Eine Auseinandersetzung mit diesen sprachlich geprägten Lehraussagen mußte sich einer entsprechenden Ausdrucksweise bedienen. Die Vorversammlung war sich dessen bewußt, daß die Aufgabe des zeitgemäßen Ausdrucks den Kirchen gestellt bleibt und in den kontinuierlichen Lehrgesprächen aufgenommen werden muß.
    Die Revision hat sich darum bemüht, den Text nicht durch neue Aussagen zu erweitern. Er braucht nicht alle Themen zu behandeln, die in den Bekenntnissen oder Traditionen der einzelnen Kirchen behandelt sind. Straffungen und Kürzungen durften aber nicht auf Kosten des notwendig zu formulierenden gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums als Grundlage für die einzugehende Kirchengemeinschaft vorgenommen werden. Die Vorversammlung ist nach eingehender Diskussion zu dem Ergebnis gekommen, daß eine kurz gefaßte Erklärung mit einem nur kurz begründeten Hinweis auf den zwischen den Kirchen bestehenden Konsensus zur Erklärung der Kirchengemeinschaft nicht ausreicht.
  6. Zum Verfahren der Rezeption:
    1. Der von der zweiten Vorversammlung beschlossene Text für eine Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa ist von vier Vorsitzenden der Vorversammlung, nämlich den Herren Dr. Max Geiger – Basel, Dr. Leonhard Goppelt – München, Dr. Horst Lahr – Potsdam, Dr. Marc Lienhard – Strasbourg, durch ihre Unterschrift festgestellt. Die von den Vorsitzenden unterschriebene Konkordie ist beim Ökumenischen Rat der Kirchen und in Abschrift beim Lutherischen Weltbund und beim Reformierten Weltbund hinterlegt.
    2. Die beteiligten Kirchen werden gebeten, ihre Zustimmung bis zum 30. September 1974 in schriftlicher Form zu geben.
    3. Die Zustimmung sollte folgende Erklärung enthalten:
      Die … (Bezeichnung der Kirche) … stimmt der Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa (Leuenberger Konkordie) in der am 16. März 1973 beschlossenen Fassung zu.
    4. Die Zustimmungserklärungen sind dem Ökumenischen Rat der Kirchen einzusenden (Kommission für Glauben und Kirchenverfassung, 150, route de Ferney, 1211 Genf 20, Schweiz). Sie werden dort hinterlegt. Über jede eingegangene Zustimmungserklärung werden die beteiligten Kirchen vom Ökumenischen Rat der Kirchen alsbald unterrichtet.
    5. Die Kirchengemeinschaft im Sinne der Konkordie wird am 1. Oktober 1974 zwischen den Kirchen wirksam, von denen eine Zustimmungserklärung beim Ökumenischen Rat der Kirchen eingegangen ist.
    6. Kirchen, deren Zustimmungserklärung nach dem 30. September 1974 beim Ökumenischen Rat der Kirchen eingeht, sind mit dem Zeitpunkt des Eingangs ihrer Zustimmungserklärung an der Kirchengemeinschaft im Sinne der Konkordie beteiligt.
  7. Über die Verwirklichung der Kirchengemeinschaft hat die Vorversammlung folgende Vorstellungen entwickelt.
    1. Die beteiligten Kirchen werden gebeten, Anregungen und Wünsche für eine praktische Verwirklichung der Kirchengemeinschaft und Themen für die vorgesehenen Lehrgespräche mitzuteilen.
    2. Die Lehrgespräche sollen möglichst noch im Jahre 1974 aufgenommen werden. Auch Kirchen, die bei Beginn der Lehrgespräche eine Entscheidung über die Annahme der Konkordie noch nicht haben herbeiführen können, werden zur Teilnahme an den Lehrgesprächen eingeladen. Die Einzelheiten werden vom Fortsetzungsausschuß mit dem Lutherischen Weltbund und dem Reformierten Weltbund besprochen.
    3. Die Vorversammlung war der Meinung, daß von der Einberufung einer »Hauptversammlung«, wie sie in früheren Schreiben vorgesehen war, zunächst abgesehen werden sollte. Das schließt nicht aus, eine Hauptversammlung später zu einem noch festzulegenden Zeitpunkt einzuberufen, wenn die beteiligten Kirchen dies für wünschenswert halten. Dies könnte z.B. im Zusammenhang mit dem Beginn der kontinuierlichen Lehrgespräche geschehen.
  8. Der von der Vorversammlung eingesetzte Fortsetzungsausschuß besteht aus:
    Dozent Dr. Andrea Aarflot (Dozent Dr. Holsten Fagerberg),
    Bischof Helge Brattgird (Dozent Dr. Fredric Cleve),
    Rev. Martin H. Cressey (Rev. Prof. Allan D. Galloway),
    Prof. Dr. Wilhelm Dantine (Prälat Dr. Albrecht Hege),
    Bischof Dr. Emerich Varga (Pfr. Johan A. Dvoracek),
    Prof. Dr. Max Geiger (Prof. Dr. Louis Rumpf),
    Prof. Dr. Leonhard Goppelt (Bischof Dr. Friedrich Hübner),
    OKR i.R. D. Karl Herbert (Prälat Dr. Hans Bornhäuser),
    Pfr. Attila Kovach (Pfr. G. Gyula Röhrig),
    Generalsuperintendent Dr. Horst Lahr (OKR Dr. Werner Tannert),
    Prof. Dr. Marc Lienhard (Pfr. Alain Blancy),
    OKR OLav Ligner (OKR Dr. Werner Hofmann),
    Prof. Dr. Wenzel Lohff (OLKR Dr. Hans Martin Müller),
    Dr. Remko J. Mooi (Prof. Dr. Daniel Vidal),
    Dr. Paolo Ricca,
    Präsident Hugo Schnell (OKR Herrmann Greifenstein),
    Präses Prof. Dr. Joachim Staedtke (Landessuperintendent Dr. Gerhard Nordholt).
    Der Fortsetzungsausschuß hat für die verantwortliche Durchführung der in 6. und 7. genannten Aufgaben zu sorgen.
Für die Vorversammlung
gez. Prof. Dr. Max Geiger
(Vorsitzender)
gez. Prof. Dr. Marc Lienhard
(Vorsitzender)